Hauptkategorie: Bücher von Otto Wilhelm
Kategorie: Lesebuch von Otto Wilhelm
Zugriffe: 6665

Erinnerungen

Liebe säen, Frieden ernten,
käme allen Völkern gut
und die Eintracht würde henschen,
gäb uns Kraft und Lebensmut.
Franz Braun

Prof Dr. Matthias Kohn

Erinnerungen an meinen Vater Matthias Kohn,
Lehrer, Rektor und Bürgermeister in Hülzweiler

Meinen Vater würde es sicher sehr bewegt haben, dass diese ehemalige und nunmehr zum Bürgerhaus umgebaute Schule seinen Namen tragen wird, denn hier hatte er seit 1930 gelehrt, und in diesem Haus hatte er zusammen mit meiner Mutter seit I951 gewohnt.

Er war ein Lehrer, welcher nicht nur seinen Schülern verbunden blieb sondern durch viele kulturelle und politische Aktivitäten auch den Bewohnern der Gemeinde. Als Ende Mai 1970 am frschen Grab meines Vaters in Weiskirchen überraschend viele Menschen aus Hülzweiler den Bussen entstiegen und sich den Trauernden anschlossen, wurde deutlich, wie sehr die menschliche Verbundenheit auf Gegenseitigkeit beruhte,

Mein Vater wurde im Dezember 1887 in Temmels, in einem Dorf an der Obermosel, als Sohn des dortigen Sakral- und Möbelschreiners Matthias Kahn und seiner Frau Margarethe Elisabeth geboren. Die Mutter war eine aufgeweckte Tochter aus dem ältesten Bauernhof dieses Ortes. Auch sie ist eine gebürtige Kahn. Dies ist dort kaum verwunderlich, denn der Name Kahn ist im Dreiländereck häufig vertreten.

Am Nachmittagstisch des Handwerkerhauses in Temmels saßen schließlich vier Söhne, vier Töchter, dazu Gesellen und Lehrlinge. Es gibt einige Kirchen an der Mosel und im Hochwald, in denen Altäre und Kirchengestühl meines Großvaters noch zu finden sind.

Die weltkluge Mutter hatte durchgesetzt, dass der dritte Sohn, Matthias, trotz großer finanzieller Belastungen für den kinderreichen Haushalt den Lehrerberuf anstreben durfte. Nach Auflösung der privaten "Präparandie" in Trier, die mein Vater zur Vorbereitung das Lehrerseminar zuerst besucht hatte, wechselte er zur "Staatlichen Prdarandie" in Sinzig am Rhein und studierte später am Seminar in Merzig.

Der 1. Weltkrieg hatte bereits begonnen, und die beiden älteren Brüder meines Vaters standen schon im Feld Am 28. Juli 1917 erfolgte ebenfalls seine Einberufung, und zwar zur Garde in Berlin, zum Reserve-Infanterieregiment Nr. 201. Bereits drei Monate später kam sein erster Kampfeinsatz an der russischen Front. Es folgten weitere Einsätze in Galizien, Rumänien und in Serbien. Vater wurde zweimal verwundet, mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet und konnte erst im April 1919 in die Heimat zurückkehren, nachdem er einige Monate auf der Festung Belgrad inhaftiert gewesen war.

In den ersten Nachkriegsjahren folgte eine Tätigkeit als Buchhalter an den Dolomit- Werken in Luxemburg. Mein Vater nahm jedoch 1925 auf Wunsch der Eltern und seiner zukünftigen Schwiegereltern den Lehrerberuf wieder auf. Nach der Heirat mit Gertrud Franziska Antz, Hoteliertochter aus Weiskirchen, wo mein Vater Junglehrer gewesen war, kamen 1928 die beiden Zwillingssöhne Karl Christian und Matthias zur Welt.

Zwei Jahre später gehörte mein Vater bereits dem Lehrerkollegium in Hülzweiler an. Die junge Familie bezog anfangs die Dienstwohnung im Schulhaus gegenüber der Kirche. Ich erinnere mich noch der langen gußeisernen Viehtränke, die vor dem Haus stand. Später wohnten wir in der Wiesenstraße in unserem umgebauten Eigenheim am westlichen Rand der Gemeinde. Mein Bruder und ich verbrachten eine glückliche Jugend in Hülzweiler und waren, wie dies Lehrerkinder zumeist sind, nur mittelmäßige Vorbilder für eine gelungene Erziehung.

Mein Vater war zu der Zeit, als das Saargebiet zum Völkerbund gehörte, seiner christlich sozialen Gesinnung wegen sehr geschätzt. In der NS-Zeit war dies weniger der Fall, denn es gab in dieser Zeit einige politische Eiferer wider ihn. Dennoch blieben viele Bürger in Hülzweiler mit meinem Vater solidarisch und waren den Eltern freundschaftlich verbunden. Mein Vater sagte später einmal: ”Vermutlich waren wir unseres Namens wegen in Hülzweiler geschützter als wir dies anderswo hätten sein können”. Es kann sein, dass ihm als Soldat in Polen und in Russland erst vollends bewusst geworden war, in welcher Gefahr er damals geschwebt hatte. Sein Einsatz für die Gemeinde nach Rückkehr aus dreijähriger russischer Gefangenschaft war nicht zuletzt durch die Dankbarkeit gegenüber den Bürgern von Hülzweiler motiviert: Er schätzte sie und kannte sehr genau deren Gesinnung.

Gleich zu Beginn des 2. Weltkrieges wurde der damals über vierzigjährige bereits eingezogen und kam nach einer zweiten Rekrutierung sofort an die Ostfront. Das Überleben seiner dreijährigen Gefangenschaft in den Donezgruben und im Lager 6393/1 verdankte er, wie er mir mehrmals sagte, einem russischen Arzt.

Vater kehrte im Mai 1948 zurück und übernahm in Hülzweiler alsbald die kommissarische Leitung der Schulen. Zum Rektor ernannt sprach er in den Lehrerkonferenzen immer wieder über die christlich-humanitären Erziehungsziele seines einstigen Seminarlehrers und späteren Professors Josef Antz, der mit unserer Familie verschwägert war, und mit dem er auch während der gesamten NS-Zeit verbunden geblieben war. Josef Antz war als bekennender Pazifist zur Zeit der Rheinlandbesetzung und der nachfolgenden Aufrüstung in der NS-Zeit aus dem Hochschuldienst entlassen worden. Nach dem Krieg hatte er den Auftrag bekommen, die pädagogischen Hochschulen in Nord-Rhein-Westfalen aufzubauen.

Neben den schulpädagogischen Anliegen war Vater nach dem Krieg ebenso bemüht, das Berufsspektrum seiner Schüler und Schülerinnen zu erweitern, das an der mittleren Saar ebenso wie an der Ruhr auf Zechen und Hütten eingeschränkt gewesen war.

Das gesellschafts- und kulturpolitische Interesse meines Vaters kam vielen seiner Schüler zugute, nicht zuletzt auch der musikalischen Laufbahn meines Bruders und ebenso der künstlerischen und universitären Ausbildung von mir, nachdem unsere Mutter in der schweren Zeit davor zielstrebig die entsprechenden Studienvoraussetzungen ermöglicht hatte.

1951 bezogen mein Vater und meine Mutter die Dienstwohnung im Schulgebäude an der nunmehrigen Stefan-Schäfer-Straße, benannt nach dem ehemaligen dem Hülzweiler vor allem musikalisch sehr viel zu verdanken hat.

Schließlich übernahm mein Vater 1958 das Amt des Bürgermeisters in Hülzweiler “Es war das erste Mal, dass ein Lehrer zum Bürgermeister gewählt wurde, nunmehr war es sogar der Rektor der Schule, der die beiden Ämter in seiner Hand vereinigte"‚ heißt es in der Chronik, Band III, von Otto Wilhelm.

Vater war ein gläubiger Mensch gewesen und ein christlicher Demokrat von Jugend an. Er gehörte vormals dem “Zentrum ” und später der CDU an und war eher ein “Politiker” der das ganze Gemeinwohl im Auge behielt, denn ein Parteimann. An seine eigene Partei stellte er sehr hohe moralische Ansprüche und vermochte zugleich durch den Kopf der “politischen Partner” zu denken. “Politischer Partner” war übrigens ein Begriff den er immer wieder gebrauchte und der mir persönlich sehr gut gefallen hat. Der Begriff “Gegner” galt bei ihm nur den Feinden der Demokratie.

Am Ende meines Studiums hatte er mir als gesellschaftspolitischen Taschenkompass folgendes empfohlen: "Massendemokratien benötigen nun einmal Parteien. Sie sind eigentlich nur pädagogische Instrumente für den Aufbau der politischen Mündigkeit in unserer Gesellschaft. Darüber hinaus müssen Parteien aber auch Lösungen von wirklich existierenden Problemen anbieten, und an deren tatsächlichen Erfolg müssen sie gemessen werden. Sie sind nicht dazu da, Probleme um der Macht willen zu instrumentalisieren oder gar zu verwalten."

Dies ist das Profil eines Kommunalpolitikers‚ der auch in der Politik ein Pädagoge blieb und mit dem Realismus einer bäuerlich-handwerklichen Welt dachte.